© Funtay | iStock

Anfahren der Betriebe nach der Kontaktsperre 10-Punkte-Plan aus Sicht des Arbeits- und Gesundheitsschutzes (Stand 29.04.2020)

Die meisten Betriebe nehmen nach den Corona-Lockerungen die Arbeit wieder auf.
Aufschließen, Licht einschalten, weiterarbeiten? – So einfach ist das nicht. Wie sind mögliche Gefährdungen zu bewerten? Wie kann ein stimmiges Hygienekonzept aussehen und wie lässt sich das Abstandsgebot realisieren? Dieser 10-Punkte-Plan beschreibt aus Sicht des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, welche Maßnahmen unbedingt erforderlich sind.

1. Beurteilung: Vor dem Anfahren kommt die Gefährdungsbeurteilung

Vor dem Anfahren der Betriebe müssen gemeinsam mit dem Arbeitsschutzausschuss (ASA) gem. § 11 Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) und dem Betriebsrat Gefährdungsbeurteilungen nach § 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) vorgenommen werden, wie an den einzelnen Arbeitsplätzen die Gefahren für eine Infizierung mit dem Corona-Virus ausgeprägt sind. Der Arbeitsschutzausschuss (ASA) tritt auch im Nachgang in kurzen Abständen regelmäßig zusammen, um die Umsetzung der abzuleitenden Maßnahmen zu checken, deren Wirksamkeit zu kontrollieren und ggf. weitere Maßnahmen einzuleiten. Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung (SBV) am Arbeitsschutzausschuss (ASA) ist sicherzustellen.

2. Hygiene: Hygienepläne einführen

Oberste Priorität behält die Einhaltung der Hygienestandards. Deshalb sollten in allen Betrieben unter Mitbestimmung des Betriebsrats Hygienepläne eingeführt werden (siehe TRBA 250 – Technische Regel (n) für Biologische Arbeitsstoffe – zur Biostoffverordnung – BioStoffV). In Betrieben und Betriebsteilen, in denen die Biostoffverordnung (BioStoffV) Anwendung findet, sind die weitergehenden Hygienevorschriften der Biostoffverordnung (BioStoffV) zu beachten. Vor, während und nach der Arbeitstätigkeit sind die Hände gründlich zu reinigen. Das gilt auch beim Gang in Pausenräume oder Kantinen sowie selbstverständlich auch bei WC-Gängen. Soweit verfügbar, sollten Händedesinfektionsmittel zur Verfügung gestellt und genutzt werden. Der richtige Umgang mit Desinfektionsmitteln ist zu schulen. Es ist außerdem an Hautschutzpläne zu denken, da durch das häufige Händewaschen Hautprobleme entstehen können. Die arbeitsmedizinische Angebotsvorsorge ist zu beachten.
Besonders sensible Bereiche (Versorgung, Reinigungspersonal etc.) sollten gesondert auf Hygienemaßnahmen sensibilisiert und geschult werden (Fremd- und Eigenschutz). Besondere Reinigungspläne und Intervalle sollten geprüft und zum Einsatz kommen. Der Arbeitsschutz des Fremdpersonals ist sicherzustellen.

3. Abstand: Abstandsgebot zwischen den Beschäftigten einhalten

Es müssen Sicherheitsabstände eingerichtet und eingehalten werden. In der Produktion zum Beispiel ist sicherzustellen, dass für alle Beschäftigten mind. 1,5 – 2 m Abstand in allen Bereichen gewahrt werden kann. Nur so sind Arbeitsbedingungen gegeben, die eine Aufrechterhaltung der Produktion möglichst lange gewährleisten. Dabei ist die ASR (Technische Regeln für Arbeitsstätten) 1.2 Raumabmessung zu berücksichtigen. Ggfs. müssen Tagschichten jetzt in Früh- und Spätschichten arbeiten, um die Produktionsräume mit weniger Beschäftigten zu besetzen und eine bessere Verteilung in den Produktionshallen zu ermöglichen. Alternativ kann die Arbeit auch anders organisiert werden. Notfalls müssen für einen befristeten Zeitraum weniger Personen Einsatz finden!

4. Schichtwechsel: Kontaktvermeidung bei Schichtwechseln

Vor, während und nach der Arbeit (Schichtbeginn, Pausen, etc.) muss darauf geachtet werden, dass die Beschäftigten nicht zu nah zusammenkommen (z. B. Weg in die Pause, beim Ein-/ Abstempeln). Es ist möglich, die Schichtwechsel so zu organisieren, dass sich die Schichteinheiten nicht bei den Schichtwechseln begegnen. Dies kann z. B. durch Absperrungen, abgegrenzte Warteflächen oder zeitliches Auseinanderfallen von Ende der vorherigen und Beginn der nachfolgenden Schicht geregelt werden.

5. Sozialräume: In Wasch- und Umkleideräumen sowie Sozialräumen hört der Gesundheitsschutz nicht auf

Auch in Wasch- und Umkleideräumen sowie Pausenräumen oder Raucherbereichen ist auf die Kontaktvermeidung zu achten. Auch hier muss eine potenzielle Verschleppung des Covid-19-Erregers durch Sicherstellung des Mindestabstandes von 1,5 – 2 m vermieden werden. Bei den Waschvorgängen zeigt sich schon jetzt in der Praxis, dass hierfür mehr Zeit zur Verfügung gestellt werden muss. Außerdem können in einigen Betrieben die Beschäftigten aus der Verwaltung aufgrund bestehender Betriebsvereinbarungen zum Home-Office von ihrem Zuhause aus arbeiten. Folglich stehen mehr Büroräume zur Verfügung, die momentan ungenutzt sind. Diese sind jetzt gut geeignet für zusätzliche Sozialräume, um den Beschäftigten, die noch im Betrieb tätig sind, mehr Raum zur Verfügung zu stellen. Andere organisatorische Maßnahmen sind veränderte Pausenzeiten oder rotierende Systeme.

6. Schutzbedürftige Personen: Besonders gefährdete Personengruppen nicht aus den Augen verlieren

Personengruppen, die besonders schutzbedürftig sind (Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen, Immunsuppression, usw.), sollten Ansprechpartner*innen im Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, die ggfs. dafür Sorge tragen, dass sie ihre Tätigkeit nicht mehr im vollen Umfang in bestimmten Bereichen ausüben müssen.
Die Schwerbehindertenvertretungen im Betrieb sind für die Sorgen und Nöte der betroffenen Beschäftigten der richtige Adressat. Gemeinsam mit dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber sollte eine Gefährdungsbeurteilung für diese besonderen Personengruppen vorgenommen werden. Der Arbeitgeber sollte betroffenen Beschäftigten die Möglichkeit einer Wunschvorsorge nach der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) anbieten. Betriebsärzt*innen können Empfehlungen aussprechen, wie die betroffenen Personengruppen künftig eingesetzt werden sollen (Home-Office, Versetzung in andere Tätigkeitsbereiche). Wegen der ärztlichen Schweigepflicht werden dafür keine Diagnosen gegenüber den Vorgesetzten und der Personalabteilung bekanntgegeben.

7. Ausrüstung: Persönliche Schutzausrüstung (PSA)

Als zusätzliche Maßnahmen (§ 4 Arbeitsschutzgesetz – ArbSchG) kann es notwendig werden, geeignete persönliche Schutzausrüstungen (PSA) wie z. B. Atemschutz, Handschuhe, Schutzkleidung etc. zur Verfügung zu stellen und deren ordnungsgemäßes Tragen zu gewährleisten. Das muss im Einzelfall vor Ort, z. B. durch Arbeitsschutzausschuss (ASA) oder Fachkundige, geprüft werden. Die persönliche Schutzausrüstung (PSA) kommt nur dann zum Einsatz, wenn es absolut notwendig ist, da sonst u. a. die angespannte Lage auf dem Markt diejenigen gefährdet, die auf persönliche Schutzausrüstung (PSA) besonders dringend angewiesen sind (z. B. Pflegepersonal, Gesundheitswesen, Labore, etc.).Es ist das im Arbeitsschutzrecht geltende STOP-Prinzip zu beachten, wonach der Einsatz von persönlicher Schutzausrüstung (PSA) erst dann zur Anwendung kommt, wenn Substitution, technische und organisatorische Maßnahmen nicht die bestehenden Gefahren für die Beschäftigten beseitigen können. Grundsätzlich sollte das ständige Tragen von PSA nur eine Übergangslösung sein. Die PSA Benutzungsverordnung muss beachtet werden. Folglich gilt: Das Tragen von Atemschutzmasken ersetzt aber nicht das Abstandsgebot von 1,5 – 2 m. Wenn es nicht möglich ist, genügend Abstand zwischen den Beschäftigten zu wahren, sollten auch noch weitere Vorkehrungen getroffen werden.

8. Reserve: Backup für die wichtigen Produktionsbereiche aufbauen

Es empfiehlt sich, Beschäftigte, die früher in wichtigen Produktionsbereichen gearbeitet haben, als Reserveteam zusammenzustellen und diese in der aktuellen Phase von Kurzarbeit und Home-Office-Tätigkeit für einen vorübergehenden Einsatz in der Produktion zu qualifizieren. Sollten einzelne Schichten wegen Corona-Erkrankungen oder – Verdachtsfällen ausfallen, könnten diese Reserveteams einspringen. Hierdurch wird die Einsatzfähigkeit der Beschäftigten erhöht und die ggf. vorliegenden Ausfallzeiten werden für sinnvolle Weiterbildungen genutzt.

9. Arbeitszeit: Arbeitszeitgrenzen beachten

Es ist bekannt, dass Überschreitung der 8-Stunden-Schicht eine hohe körperliche Belastung für die Beschäftigten darstellt und die Arbeitssicherheit beeinträchtigen kann (z. B. Unfallhäufigkeiten können zunehmen). Zudem kann das Immunsystem durch die erhöhte Arbeitsbelastung geschwächt werden.

10. Maßnahmen des Arbeitsschutzes: Kosten dürfen nicht Arbeitnehmer*innen auferlegt werden

Der Arbeitgeber hat gem. § 3 Abs. 3 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) die Kosten der erforderlichen Maßnahmen für den Arbeits- und Gesundheitsschutz zu tragen. Wenn also   z. B. durch das Einräumen längerer Zeiträume bei den Schichtwechseln effektive Arbeitszeit verloren geht, sind diese Kosten vom Arbeitgeber zu übernehmen und dürfen den Beschäftigten nicht auferlegt werden. Ähnlich verhält es sich mit längeren Wartezeiten beim erforderlichen Duschen nach der Arbeit.

Abt. Mitbestimmung/Betriebsverfassung
Abt. Sozialpolitik/Arbeits- und Gesundheitsschutz

  • : © Funtay | iStock