BAG: Nachrücker nicht automatisch freigestellt

Scheidet ein freigestelltes Betriebsratsmitglied aus, ist das nachrückende Ersatzmitglied nicht automatisch auch freigestellt. Das Gremium muss neu bestimmen, wer freizustellen ist. Gilt das Prinzip der Verhältniswahl, dann rückt der Nächste aus der Vorschlagsliste nach. Ist diese erschöpft, ist neu zu wählen – so jetzt das BAG in einer streitbaren Entscheidung.

Es geht um die Anfechtung einer Freistellung. Die in größeren Betrieben ab 200 Mitarbeitern vorgeschriebenen voll-freigestellten Betriebsratsmitglieder müssen gewählt werden – und zwar vom Betriebsrat selbst. Der Arbeitgeber muss diese dann durch eine Erklärung freistellen. Diese Freistellungswahl ist anfechtbar, die Vorschriften für die Anfechtung der Betriebsratswahl gelten analog (§ 19 BetrVG).

Das Gesetz regelt jedoch nicht, wie zu verfahren ist, wenn die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds während der Amtszeit des Betriebsrats vorzeitig endet. Damit enthält das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke. Fragt sich, was dann passieren soll.

Das war der Fall

Der aus elf Mitgliedern bestehende Betriebsrat wählte zwei freizustellende Betriebsratsmitglieder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl. Beide Kandidaten stammten von derselben Liste, die nur zwei Namen enthielt. Nach dem Ausscheiden eines der beiden freigestellten Betriebsratsmitglieder wurde erneut gewählt. Es geht nun um die Frage, ob das Neuwählen rechtmäßig war oder aus einer Liste ein Betriebsratsmitglied hätte nachrücken müssen.

Das sagt das Gericht

Eine Freistellungswahl kann angefochten werden, wenn bei der Wahl gegen Rechtsvorschriften verstoßen wurde. Die Regelungen für die Anfechtung der Betriebsratswahl finden analog Anwendung (§ 19 BetrVG). Allerdings sah das BAG hier keine Gründe für eine Anfechtung, es hielt die Neuwahl für rechtmäßig. Warum?

Immer wieder ist unklar, wie bei Beendigung einer Freistellung zu verfahren ist und wie der Nachfolger zu bestimmen ist. Wurde die Freistellung ursprünglich über eine Verhältniswahl bestimmt, so geht das BAG davon aus, dass auch der Nachrücker aus derjenigen Vorschlagsliste zu entnehmen ist, der das ausscheidende Mitglied angehörte (§ 25 Abs. 2 Satz 1 BetrVG analog). Ist allerdings, wie im vom BAG entschiedenen Fall, diese Liste erschöpft, soll – so das BAG – das Ersatzmitglied nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl zu wählen sein. Die von vielen vertretene Meinung, den Ersatzkandidaten der Vorschlagsliste zu entnehmen, auf die bei der ursprünglichen Freistellungswahl die nächste Höchstzahl entfallen wäre, hält das BAG nicht für überzeugend.

Das BAG ist der Meinung, dass die Situation bei Beendigung einer Freistellung eine andere ist als beim Nachrücken der Ersatzmitglieder in das Betriebsratsamt. Hier will das Gesetz explizit verhindern, dass die Funktionsfähigkeit des Betriebsrats wegen fehlender Mitglieder gefährdet ist. Bei der Organisation der Freistellung sei es – so das BAG – ein anderer Fall. Das ersatzweise freizustellende Mitglied könne jederzeit im Wege der Mehrheitswahl nachgewählt werden. Der Wahlvorschlag sei bei der nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchgeführten Freistellungswahl nur geschützt, soweit Ersatzmitglieder auf der Vorschlagsliste des zu ersetzenden Betriebsratsmitglieds vorhanden sind. Ist die eigene Kandidatenliste erschöpft, ende aber – so die Richter –  der Minderheitenschutz. Dieser reiche nicht weiter als der Wahlvorschlag. Daher ist das ersatzweise freizustellende Betriebsratsmitglied nach Erschöpfung der Liste, der das ausgeschiedene Mitglied angehört hat, im Wege der Mehrheitswahl mit einfacher Stimmenmehrheit der Betriebsratsmitglieder zu bestimmen.

Kommentar von Prof. Dr. Peter Wedde

Die Entscheidung schafft in einer wichtigen Frage Klarheit, auch wenn die Auffassung des BAG gerade kleineren Betriebsratsfraktionen nicht gefallen wird. Diese verlieren dann den durch die Verhältniswahl garantierten Minderheitenschutz, wenn eine für die ursprüngliche Freistellungsentscheidung eingereichte Vorschlagsliste erschöpft ist. Ist dies der Fall, entscheidet ein Betriebsrat im Wege der Mehrheitswahl über ersatzweise vorzunehmende Freistellungen.

Kleinere Gruppierungen innerhalb eines Betriebsrats können dieses Resultat zwar durch Koalitionen mit anderen Fraktionen bei der Abgabe von Freistellungsvorschlägen vermeiden. Diese Entscheidung muss aber bereits zum Zeitpunkt der Konstituierung des Betriebsrats getroffen werden.

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Quelle

BAG (21.02.2018)
Aktenzeichen 7 ABR 54/16