EuGH: Unionsrecht bei Nachtarbeitsvergütung nicht anwendbar

Bei der Frage, ob es eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellt, dass regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit unterschiedlich vergütet wird, sieht der Europäische Gerichtshof das Unionsrecht nicht anwendbar und verweist zurück an das Bundesarbeitsgericht.

Darum geht es

Im vorliegenden Fall klagten zwei Beschäftigte, die im Rahmen ihrer regelmäßigen Schichtarbeit auch Nachtarbeit leisteten. Der einschlägige Manteltarifvertrag sieht einen Zuschlag für regelmäßige schichtplanmäßige Nacharbeit von 20% und einen Zuschlag für gelegentliche Nachtarbeit von 50% vor.

Die Beschäftigten verlangen für ihre geleistete Nachtarbeit die Differenz zwischen der Vergütung der regelmäßigen und unregelmäßigen Vergütung. Sie sind der Auffassung die unterschiedliche Vergütung sei eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung, da grade die regelmäßige Nachtarbeit die gesundheitlichen Nachteile stärkt. Der Arbeitgeber rechtfertigt die unterschiedliche Vergütung mit dem Umstand, dass unregelmäßig Nachtarbeit meist Mehrarbeit bedeute und in geringerem Umfang anfalle. Der höhere Vergütungszuschlag solle zudem den Arbeitgeber davon abhalten, spontan Nachtarbeit anzuordnen. Zudem werde regelmäßige Nachtarbeit durch weiter Vergünstigungen, wie Freizeit, ausgeglichen.

Das sagt das Gericht

Nachdem die Arbeitsgerichte die Klagen abwiesen, sprach das Landgericht im Rahmen der Berufung ein Teil der Ansprüche zu. Im Rahmen der Revisionsprüfung legte das Bundesarbeitsgericht (BAG) durch Beschluss vom 9.12.2020 die Frage, inwiefern die unterschiedliche Vergütung eine Ungleichbehandlung nach der Richtlinie 2003/88/EG zu Aspekten der Arbeitszeitgestaltung sowie Art. 20, 51 Abs. 1 der EU-Grundrechte Charta darstelle, dem europäischen Gerichtshof vor.

Der EuGH hielt das europäische Recht für unabwendbar, sodass er in der Sache keine Entscheidung traf. Dafür hätte durch den Tarifvertrag EU-Recht durchgeführt werden müssen. Das ist der Fall, wenn die unionsrechtliche Vorschrift inhaltlich den Mitgliedsstaaten spezifische Verpflichtungen vorgibt. Sinn und Zweck der Richtlinie besteht allerdings nur darin zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmenden Regeln der Arbeitszeitgestaltung vorzugeben und regelt nicht die Vergütung. Den Mitgliedsstaaten wird also grade keine Verpflichtung bezüglich der Regelung des Gehalts auferlegt. Insoweit wird bei einem Tarifvertrag bei der Gehaltsregelung auch kein europäisches Recht durchgeführt, über das der EuGH zu entscheiden hätte. Vielmehr wird die Lohnfestsetzung der Zuständigkeit der Tarifpartner auf nationaler Ebene und die Entscheidung über die Ungleichbehandlung aufgrund der Vergütung den nationalen Gerichten vorbehalten.

Praxistipp

Viele Tarifverträge unterscheiden zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit und vergüten letztere besser. Nach Angaben der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten liegen rund 400 entsprechende Klagen beim BAG zur Entscheidung vor. In dem Vorabentscheiungsersuchen des BAG war keine inhaltliche Linie zu erkennen. Es bleibt also spannend, ob sich das BAG dem LAG Berlin-Brandenburg anschließt und eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung annimmt oder wie das LAG Niedersachsen in einem vergleichbaren Fall entschieden hat, eine solche ablehnt. Eine Entscheidung, die für tausende Mitarbeitende einen Vergütungsausgleichsanspruch bedeutet könnte.

Joy Dahmen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei schwegler Rechtsanwälte.

Quelle

EuGH (07.07.2022)
Aktenzeichen C-257/21, C-258/21
EuGH, Pressemitteilung vom 7.7.2022