Wegweiser Bundesarbeitsgericht

Fristlose Kündigung: Unüberlegte Anzeige kann den Job kosten

Wer seinen Arbeitgeber anzeigt, obwohl er erkennen müsste, dass der Vorwurf haltlos ist, muss damit rechnen, dass er die fristlose Kündigung erhält. Das geht aus einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts hervor.

Eine Fachanwältin für Arbeits- und Sozialrecht war seit Februar 2003 als Lehrende am Fachbereich Sozialversicherung der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung tätig. 2012 wurden mehrere Lehrveranstaltungen – auch solche der Klägerin – aufgrund einer sogenannten Evaluationsordnung (EVO) bewertet und die Ergebnisse an zuständige Mitarbeiter weitergeleitet. Die Lehrbeauftragte hielt die durchgeführten Maßnahmen wegen der aus ihrer Sicht nicht ordnungsgemäßen Bestellung eines Evaluationsbeauftragten für rechtswidrig und ließ mit anwaltlichem Schreiben vom 4. Juni 2012 Strafantrag gegen Unbekannt stellen. Hintergrund der Anzeige war ein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Regelungen. Die Hochschule kündigte das Arbeitsverhältnis nach Beteiligung des – in diesem Fall Personalrats – mit Schreiben vom 23. Mai 2014 zum 31. Dezember 2014.

Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte grundsätzlich zulässig

Die Einschaltung der Staatsanwaltschaft durch einen Arbeitnehmer wegen eines vermeintlich strafbaren Verhaltens des Arbeitgebers oder seiner Repräsentanten stellt als Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte – soweit nicht wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden – im Regelfall keine eine Kündigung rechtfertigende Pflichtverletzung dar. Anders liegt der Fall, wenn sich die Strafanzeige als leichtfertig und unangemessen erweist.

Zwar sind auch die in Strafanzeigen enthaltenen Werturteile vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 GG, erfasst. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist aber nicht vorbehaltlos gewährt, sondern steht unter dem Schrankenvorbehalt der allgemeinen Gesetze, in diesem Fall müssen also die schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers berücksichtigt werden, § 241 Abs. 2 BGB.

Arbeitnehmer hat Pflicht zur Rücksichtnahme

Soweit zumutbar, muss der Arbeitnehmer wegen der sich aus seiner Pflicht zur Rücksichtnahme ergebenden Pflicht zur Loyalität und Diskretion Hinweise auf strafbares Verhalten in erster Linie gegenüber Vorgesetzten oder anderen zuständigen Stellen oder Einrichtungen erörtern. Es ist daher zu berücksichtigen, ob ihm andere wirksame Mittel zur Verfügung standen, um etwas gegen den angeprangerten Missstand zu tun, oder ob ein öffentliches Interesse an einer Offenlegung der Informationen überwog.

Die Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme kann dem Arbeitnehmer dann vorgeworfen werden, wenn er schuldhaft gehandelt hat, also die Haltlosigkeit des Vorwurfs erkennen musste. Ist das der Fall, ist ein bloß vermeidbarer und damit verschuldeter Irrtum über die Voraussetzungen der Strafbarkeit des angezeigten Verhaltens – abhängig vom Grad des Verschuldens – im Rahmen der Interessenabwägung bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz der Pflichtverletzung zumutbar ist.

Danach hat das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen, die Mitarbeiterin habe mit der Stellung des Strafantrags ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers gem. § 241 Abs. 2 BGB erheblich verletzt.

»Der Strafantrag stellte eine gänzlich unangemessene Reaktion auf eine vermeintlich rechtswidrige Evaluation ihrer Lehrveranstaltungen dar«, so das BAG. Die Klägerin hat zwar keine falschen Angaben gemacht. Sie hätte als Juristin aber erkennen können, dass kein vorsätzlicher Verstoß gegen gesetzliche Datenschutzbestimmungen vorliegt, da eine Schädigungsabsicht iSd. § 44 Abs. 1 BDSG abwegig war.

Arbeitnehmer muss mildere Mittel ausloten

Der Klägerin wäre es laut BAG zumutbar gewesen, zunächst eine innerbetriebliche Klärung der vermeintlichen Rechtswidrigkeit der Evaluation anzuregen, etwa mit dem Referat für Datenschutz, des Justiziariats und schließlich des Datenschutzbeauftragten. Die Klägerin hat es entgegen der gebotenen Sorgfalt und fahrlässig (§ 276 Abs. 2 BGB) unterlassen, die den mit der Evaluation befassten Personen unterstellte Schädigungsabsicht iSd. § 44 Abs. 1 BDSG kritisch zu hinterfragen. Sie hat ohne Weiteres aus einem ihrer Ansicht nach rechtswidrigen Vorgehen auf eine Schädigungsabsicht geschlossen. Dass dieser Schluss nicht richtig sein konnte, war für die Klägerin als Volljuristin auch erkennbar. Überdies sprach der Umstand, dass nicht nur ihre Lehrveranstaltungen evaluiert wurden, dafür, dass die verantwortlichen Personen lediglich den gesetzlichen Auftrag nach § 6 HRG iVm. § 1 Abs. 2 EVO erfüllen wollten.

Das Landesarbeitsgericht habe ohne Rechtsfehler angenommen, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung sei aufgrund der Pflichtverletzung nicht mehr zu erwarten, obwohl es an einer vorausgegangenen Abmahnung zu einer vergleichbaren Pflichtverletzung fehlte. Die Klägerin hat beharrlich und ohne Rücksicht auf die Belange des Arbeitgebers eigene, aufgrund der erkennbaren Haltlosigkeit des Vorwurfs, nicht schutzwürdige Interessen an einer Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen diesen verfolgt. Die tatrichterliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts, dies sei auch ohne Abmahnung geeignet, das Vertrauen der Beklagten in eine ordnungsgemäße Vertragserfüllung in Form der gebotenen Rücksichtnahme auf ihre Interessen auf Dauer zu beeinträchtigen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Quellen: 
Bundesarbeitsgericht, 15.12.2016
Aktenzeichen: 2 AZR 42/16
Rechtsprechungsdatenbank des Bundesarbeitsgerichts
© bund-verlag.de (mst)

Peter Voigt
Abteilung Arbeits- und Sozialrecht

 

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