Urteil

Stillgelegte Betriebsstätte oder Betriebsschließung – das ist hier die Frage

Auf der Grundlage eines zwischen Konzern und IG Metall vereinbarten Strukturtarifvertrags (§ 3 BetrVG) hat eben dieser Konzern mehrere Betriebsstätten in verschiedenen Orten zu einem Betrieb zusammengefasst. Kurz darauf schließt das Unternehme die Betriebsstätte in Berlin und kündigt allen Arbeitnehmern – darunter auch ein Ersatzmitglied des vorher gewählten Gesamtbetriebsrats. Das Ersatzmitglied, das kurz vorher noch an einer Betriebsratssitzung teilgenommen hat, hält die ordentliche Kündigung für unwirksam und beruft sich auf den Sonderkündigungsschutz für Betriebsratsmitglieder. Danach sind ordentliche Kündigungen auch ein Jahr nach Beendigung der Amtszeit des Betriebsratsmitglieds unzulässig (§ 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG), es sei denn, der Betrieb wird komplett stillgelegt.

Und so definiert es der Arbeitgeber: Gemäß § 15 Abs. 4 KSchG kann er dem BR-Ersatzmitglied wegen Betriebsstilllegung betriebsbedingt kündigen. Der Arbeitnehmer habe an keiner anderen Position im Unternehmen weiter beschäftigt werden können, zudem sei der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden.

Das BAG hält hier die betriebsbedingte Kündigung für zulässig und begründet seine Entscheidung wie folgt: Einerseits gelte zwar ein Sonderkündigungsschutz gemäß § 15 KSchG, andererseits sei eine Kündigung wegen Betriebsstilllegung nach § § 15 Abs. 4 und 5 KSchG möglich, je nachdem, welche Definition des Betriebsbegriffs angewendet werde.

In diesem Fall liegt lt. BAG der enge Betriebsbegriff gemäß § 3 BetrVG zugrunde, die gesetzliche Fiktion in Abs. 5 des genannten Paragraphen auf das Betriebsverfassungsrecht sei begrenzt und im Kündigungsschutzrecht nicht anwendbar. Kurz: Bei der Stilllegung der Betriebsstätte handelt es sich um eine Betriebsschließung, die den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigt.

Die Interpretation, dass durch den Strukturtarifvertrag ein neuer Betrieb (mit mehreren Standorten) entstanden sei und es sich bei der Stilllegung eines Standorts eben nicht um eine Betriebsstilllegung handele, weil es den Betrieb ja noch an anderen Standorten gebe, greift hier also nicht.

Der „Betriebsbegriff“ wird also im Kündigungsschutzgesetz (KSchG) und im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) unterschiedlich ausgelegt. Nur im BetrVG gelten die durch eine Strukturvereinbarung geschaffenen Organisationseinheiten als Betrieb. Diese unterschiedliche Sichtweise wird die Anwendung in der Praxis erheblich erschweren.

Quellen: bund-verlag.de (fro); AG (27.06.2019), Aktenzeichen 2 AZR 38/19