Kann Rufbereitschaft Arbeitszeit sein? Nach deutschem Verständnis ist die Rufbereitschaft selbst nicht Arbeitszeit, nur der jeweilige Einsatz. Anders urteilte vor kurzem der EuGH bei einem Feuerwehrmann. Er bewertete Rufbereitschaft aber nicht als Arbeitszeit, sondern als Bereitschaftsdienst: Dies aber auch nur unter bestimmten Umständen. Dann, wenn er innerhalb von höchstens acht Minuten auf der Wache erscheinen muss bei einem Ruf. Und ist das neu? Auch das Bundesarbeitsgericht urteilte schon in eine ähnliche Richtung, also eigentlich nicht.
Sachverhalt
In seiner Entscheidung hatte sich der EuGH mit dem Fall eines Feuerwehrmannes aus Nivelles in Belgien zu befassen. Dieser klagte gegen seinen Arbeitgeber auf Vergütung seiner daheim geleisteten Bereitschaftsdienste. Der Feuerwehrmann musste sich in einer Woche pro Monat abends und am Wochenende für Einsätze bereithalten. Vorgabe des Arbeitgebers war dabei, dass er und seine Kollegen im Alarmierungsfall innerhalb von höchstens acht Minuten auf der Feuerwehrwache zu erscheinen hatten. Diese Vorgabe hatte zur Folge, dass die Feuerwehrleute ihren Wohnsitz in unmittelbarer Nähe zur Feuerwache nehmen mussten. Angesichts dieser konkreten Umstände wertete der EuGH die daheim geleisteten Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit.
Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Einordnung als Arbeitszeit entscheidend, dass sich der Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen muss, um gegebenenfalls sofort die Tätigkeit aufzunehmen. Neu an der Entscheidung des EuGH ist die Konkretisierung, dass die Verpflichtung, persönlich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort anwesend und zur sofortigen Arbeitsaufnahme bereit zu sein, auch dann zur Einordnung des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit führt, wenn dieser Ort nicht der Arbeitsplatz ist.
Entscheidung
Entscheidend war nach der Auffassung des Gerichtes die aus den strikten räumlichen und zeitlichen Vorgaben resultierende erhebliche Einschränkung der Möglichkeiten des Arbeitnehmers, sich seinen persönlichen und sozialen Interessen zu widmen. Letztendlich bestand kein Unterschied zwischen der häuslichen Bereitschaft und einer Bereitschaft am Arbeitsort. Hier liegt auch der wesentliche Unterschied zu den üblichen Rufbereitschaftsregelungen, bei denen die Arbeitnehmer zur Erreichbarkeit und zur Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft verpflichtet sind, bei denen aber keine strikten Zeitvorgaben für die Aufnahme der Tätigkeit gemacht werden. Bei solchen Regelungen sind die Arbeitnehmer weder bei der Wahl ihres Wohnortes beschränkt noch ergeben sich wesentliche Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit.
Bewertung
Trotz der breiten Berichterstattung wird die Entscheidung des EuGH keinen Umschwung in der Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichte bewirken. Diese entscheiden nämlich schon seit geraumer Zeit so. Bereits mit Urteil vom 19.12.1991 (Aktenzeichen 6 AZR 592/89) hatte das BAG entschieden, dass keine Rufbereitschaft, sondern Bereitschaftsdienst vorliegt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer – ohne dessen Aufenthaltsstelle konkret zu bestimmen – dadurch in der freien Wahl des Aufenthaltsortes beschränkt, dass er die Zeit zwischen Abruf und Aufnahme der Arbeit genau vorgibt. Der damaligen Entscheidung lag der Fall eines Krankenwagenfahrers zugrunde, welcher sich bei Rufbereitschaft binnen 10 Minuten am Arbeitsplatz einzufinden hatte. Durch diese Zeitvorgabe war nach Auffassung des BAG der Aufenthaltsort des Arbeitnehmers faktisch durch den Arbeitgeber bestimmt und damit die Voraussetzung für die Wertung der Bereitschaftszeit als Bereitschaftsdienst und nicht als Rufbereitschaft erfüllt.
Es bleibt also so, dass für die Unterscheidung zwischen Rufbereitschaft (arbeitszeitrechtlich als Freizeit zu werten) und Bereitschaftsdienst (arbeitszeitrechtlich als Arbeitszeit zu werten) maßgeblich ist, ob der Arbeitgeber den konkreten Aufenthaltsort des Arbeitnehmers während der Bereitschaft bestimmt. Der vorbestimmte Aufenthaltsort muss nicht der Arbeitsplatz sein. Er kann sowohl durch ausdrückliche räumliche Vorgaben als auch durch eng gefasste zeitliche Vorgaben festgelegt sein.
Aber Achtung: Mit der Einordnung der Bereitschaftszeit als Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinn geht nicht notwendigerweise auch ein Anspruch auf volle Vergütung der Zeit einher. Hierfür sind die jeweiligen tariflichen Regelungen beachtlich.
Autor(inn)en:
Andreas Henniger, Abt. Tarifrecht/-gestaltung
Isabel Eder, Abt. Mitbestimmung
Quelle:
EuGH-Entscheidung 21.02.2018, Az.: C-518/15
Isabel Eder
Abteilung Mitbestimmung
Andreas Henniger
Abteilung Tarifrecht/-gestaltung
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