BAG: Wann der Anspruch auf Urlaubsabgeltung verfallen kann

Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers, nicht genommenen Urlaub nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten, kann nach Maßgabe einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen. Endete das Arbeitsverhältnis aber vor der Entscheidung des EuGH vom 6.11.2018 begann die Ausschlussfrist erst mit der Bekanntgabe des Urteils zu laufen, so das BAG.

Das war der Fall

Die Beklagte, ein Zeitungsverlag, beschäftigte den Kläger seit dem 1.4.2007 zunächst auf der Grundlage eines sog. Vertrags für Pauschalisten, sodann als angestellten Online-Redakteur. Nach § 18 Nr. 1 Satz 1 des Manteltarifvertrags für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen (MTV) sind nicht erfüllte Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit geltend zu machen.

Während seiner Tätigkeit als Pauschalist vom 1.4.2007 bis zum 30.6.2010 erhielt er keinen Urlaub. Das Arbeitsverhältnis endete am 30.9.2014. Im August 2018 forderte der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auf, insgesamt 65 Arbeitstage Urlaub aus den Jahren 2007 bis 2010 abzugelten.

Die Forderung in Höhe von 14.391,50 Euro brutto wies der Arbeitgeber mit der Begründung zurück, ein etwaiger Anspruch des Beschäftigtenaus der Zeit seiner Tätigkeit als Pauschalist sei verfallen und verjährt.

Das sagen die Gerichte

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte beim Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) Erfolg. Sie führt zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht.

Reiner Abgeltungsanspruch unterfällt Ausschlussfristen

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG kann der Anspruch auf Abgeltung nicht genommenen Urlaubs als reiner Geldanspruch tariflichen Ausschlussfristen unterfallen. Daran hält das BAG fest. Die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses bildet eine Zäsur. Der Urlaubsabgeltungsanspruch ist anders als der Urlaubsanspruch nicht auf Freistellung von der Arbeitsverpflichtung zu Erholungszwecken unter Fortzahlung der Vergütung gerichtet, sondern auf dessen finanzielle Kompensation beschränkt.

Schutzbedürftigkeit endet mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers, aus der der EuGH die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub ableitet, endet mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Der Arbeitnehmer war bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30.9.2014 nicht gehalten, seinen Anspruch auf Abgeltung des bis dahin nicht gewährten Urlaubs aus den Jahren 2007 bis 2010 dem Arbeitgeber gegenüber im Sinne der Ausschlussfristenregelung geltend zu machen. Das BAG ging zu diesem Zeitpunkt noch davon aus, dass Urlaubsansprüche mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums unabhängig von der Erfüllung von Mitwirkungsobliegenheiten automatisch verfielen.

Neue Regeln für den Verfall von Urlaub

Erst nachdem der EuGH (6.11.2018 – C-684/16) neue Regeln für den Verfall von Urlaub vorgegeben hatte, konnte der Arbeitnehmer Urlaubsabgeltung verlangen.

Der von dem Beschäftigten erhobene Abgeltungsanspruch ist vor diesem Zeitpunkt auch nicht verjährt. Zwar steht der Anwendung der Verjährungsvorschriften der unabdingbare Schutz, den der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub genießt, nicht entgegen. Nach den vom Senat entwickelten Grundsätzen (BAG 31.1.2023 – 9 AZR 456/20) lief die Verjährungsfrist nicht vor dem Ende 2018. Der Kläger wahrte die gesetz-liche Verjährungsfrist, indem er die Beklagte im Jahr 2018 auf Zahlung von Urlaubsabgeltung gerichtlich in Anspruch nahm.

Dennoch kann das BAG nach den vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend darüber befinden, ob der Arbeitgeber Urlaubsabgeltung schuldet. Das Landesarbeitsgericht wird nach der Zurückverweisung aufzuklären haben, ob der Arbeitnehmer in den Jahren 2007 bis 2010, in denen er als Pauschalist redaktionelle Aufgaben für die Beklagte wahrnahm, im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig war.

© bund-verlag.de (ls)

Quelle

BAG (31.01.2023)
Aktenzeichen 9 AZR 244/20
PM des BAG Nr. 6/23