Wer Missstände beim Arbeitgeber öffentlich machen will, muss zunächst sorgfältig prüfen, ob diese auch der Wahrheit entsprechen. Die dann geübte Kritik darf zugespitzt und polemisch sein, sofern sie keine reine Diffamierung des Arbeitgebers darstellt. Kritik am Arbeitsplatz ist von der Meinungsfreiheit umfasst.
Immer wieder ist fraglich, wie weit Beschäftigte Kritik am Arbeitgeber im Rahmen der auch im Arbeitsverhältnis geltenden „Meinungsfreiheit“ (Art. 5 Grundgesetz) üben dürfen.
Das war der Fall
Ein in einer Klinik angestellter Therapeut erhält eine fristlose Kündigung. Er hatte den Arbeitgeber mit massiver Kritik überzogen, die er auch im Internet öffentlich verbreitete. Die Zustände im Maßregelvollzug und der Umgang mit Patienten seien untragbar. Den Arbeitgeber bezeichnete der Therapeut als „Fachklinik für Bossing & Mobbing inkl. Verleumdungen und Datenschutzverletzungen“.
Das sagt das Gericht
Die Kündigung ist zulässig. Der Beschäftigte hat es mit seiner Kritik überzogen.
Dass das Grundrecht auf Meinungsfreiheit auf im Arbeitsverhältnis gilt, ist unstreitig. Kritische, auch polemische oder überspitzte Äußerungen sind zulässig. Schmähkritik allerdings, die allein auf die Diffamierung des Arbeitgebers und nicht auf eine sachliche Auseinandersetzung abzielt, ist nicht grundrechtlich geschützt und daher unzulässig. Das Gericht hält hier die überspitzten Äußerungen des Beschäftigten nicht für Schmähkritik, da sie auf eine sachliche Auseinandersetzung abzielte.
Dennoch sind die Äußerungen hier nicht mehr von der „Meinungsfreiheit“ umfasst. Die „arbeitsvertraglichen Pflichten“ verlangen eine gewisse Rücksichtnahme auf den Arbeitgeber (§ 241 BGB). Danach gilt, dass wer Missstände bei seinem Arbeitgeber öffentlich machen will, zunächst verpflichtet ist, die Tatsachen, die er öffentlich machen will, selbst zunächst einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen, bevor er damit an die Öffentlichkeit geht (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 16.02.2021 – 23922/19). Diese Prüfung hat der Beschäftigte vernachlässigt.
Das muss der Betriebs- oder Personalrat wissen
Auch eine überhöhte und überspitzt formulierte Kritik am Arbeitgeber fällt grundsätzlich unter das Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Eine kündigungsrelevante Schmähkritik liegt nur dann vor, wenn allein die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, und ein Sachbezug fehlt. Allerdings gibt es noch eine weitere Komponente: Der Beschäftigte muss vorab prüfen, ob die kritisierten Sachverhalte der Wahrheit entsprechen.
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Quelle
LAG Thüringen (19.04.2023)
Aktenzeichen 4 Sa 269/22