Psychische Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt

Das Bundessozialgericht (BSG) hat erstmals eine psychische Erkrankung als Berufskrankheit anerkannt. Im Verfahren hatte ein Rettungssanitäter auf Anerkennung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), maßgeblich durch die berufliche Tätigkeit verursacht, geklagt. Antonia Seeland ordnet die Entscheidung in »Gute Arbeit« 8/2023 ein.

Der Kläger, über dessen Fall das BSG jüngst entschieden hat (BSG 22.6.2023 – B 2 U 11/20 R), arbeitet seit Jahren als Rettungssanitäter. In seinem Berufsleben erlebte er mehrfach belastende Ereignisse wie etwa bei einem Amoklauf. 2016 wurde bei ihm eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert. Er sah seine Erlebnisse während der Tätigkeit als Rettungssanitäter als wesentliche Ursache für seine Erkrankung an. Daher wollte er die PTBS als »Wie-Berufskrankheit« bei der zuständigen Berufsgenossenschaft anerkennen lassen, was diese ablehnte.

Wegweisendes BSG-Urteil

Das BSG hatte bereits am 6.5.2021 zu prüfen, ob die Tätigkeit als Rettungssanitäter:in abstrakt-generell dazu geeignet ist, eine PTBS zu verursachen. Zu klären war: Ist die PTBS durch besondere Einwirkungen verursacht, denen Rettungssanitäter:innen durch ihre Tätigkeit in erheblich höherem Grad ausgesetzt sind als die übrige Bevölkerung (§ 9 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch – SGB – VII)? Kann sie somit eine »Wie-Berufskrankheit« sein? Der 2. Senat vertagte die Entscheidung und holte zunächst ein medizinisch-wissenschaftliches Gutachten ein. Als die Ergebnisse vorlagen, bejahte das BSG nun den Zusammenhang.

Damit ist die PTBS zum ersten Mal in die »Quasi-Liste« der Berufskrankheiten »aufgenommen«. Mit der Entscheidung wird eine PTBS nicht generell zur Berufskrankheit für Rettungssanitäter:innen. Es ist stets im individuellen Fall zu prüfen, ob die Voraussetzungen vorliegen. Für die abschließende Entscheidung im vorliegenden Fall verwies das BSG den Rechtsstreit zurück an das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg. Die schriftlichen Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor.

Probleme bei der Anerkennung neuer Berufskrankheiten

Was eine Berufskrankheit sein kann, regelt die Berufskrankheiten-Verordnung (BKV, § 9 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 BKV) mit der dazugehörige Liste anerkannter Erkrankungen im Anhang. Es muss sich um eine Krankheit handeln, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht ist, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (Definition der Berufskrankheit in § 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII).

Über die Aufnahme einer Krankheit in die Liste entscheidet die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats. Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gibt es den Ärztlichen Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB), der die Bundesregierung bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse unterstützt und Empfehlungen zur Aufnahme neuer Berufskrankheuten gibt (§ 9 Abs. 1a SGB VII). Grundsätzlich sind der Verordnungsgeber (Gesetzgeber) und der ÄSVB zögerlich mit der Auseinandersetzung und Anerkennung neuer Risiken und Erkrankungen, vor allem psychischer, das Verfahren zieht sich oft über Jahre.

Hohe Relevanz psychischer Erkrankungen

Allgemein steigt die Bedeutung psychischer Erkrankungen im Erwerbsleben, die mit einem Anteil von 41,7% die Hauptursache für (vorzeitige) Erwerbsminderungsrenten der gesetzlichen Rentenversicherung sind. Bedeutsam ist: Nicht nur Rettungssanitäter:innen sind hohen psychischen Gefährdungen und Beanspruchungen im Arbeitsalltag ausgesetzt. In manchen Berufen sind die Beschäftigten über ihr gesamtes Berufsleben hinweg überdurchschnittlich oft mit psychisch belastenden Situationen konfrontiert. Dies trifft z. B. auf Polizist:innen, Soldat:innen oder in der digitalisierten Gesellschaft auf sogenannte Cleaner:innen zu, die Inhalte im Internet und auf Social-Media-Plattformen nach Aufnahmen durchforsten, in denen Gewalt, Missbrauch oder Pornographie vorkommen. Die damit einhergehende Dauerbelastung mit schrecklichen Eindrücken kann bewirken, dass die Bilder im Kopf bleiben und zu gesundheitlichen Folgeschäden führen.

© bund-verlag.de (BE)

Quelle

BSG (22.06.2023)
Aktenzeichen B 2 U 11/20 R