Digitalisierung hier, Digitalisierung dort

Das analoge Zeitalter ist vorbei; alles ist jetzt digital. Auf unzähligen Konferenzen wird über die neuen Anforderungen der digitalen Arbeitswelt diskutiert. Die Gesetzgebung passt sich bekanntermaßen aber nur langsam an. „Digitale“ Sachverhalte müssen daher unter analoge Gesetze subsumiert werden. Jetzt fing die Mitbestimmung auch Twitter ein.

Mitbestimmung bei der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen

Der § 87 Absatz 1 Ziffer 6 BetrVG gewinnt in Zeiten der Digitalisierung immer mehr an Bedeutung. Beschäftigte sind in der Arbeitswelt zunehmend technischen Überwachungssystemen ausgesetzt, die eine Unmenge von leistungs- und verhaltensbezogene Daten sammeln. Das Mitbestimmungsrecht der Ziffer 6 soll den Betriebsrat in die Lage versetzen, aktiv das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten vor der unmäßigen Sammelwut einiger Arbeitgeber zu schützen.

Der Umfang des Mitbestimmungsrechts umfasst

    • einen präventiven Schutz vor rechtlich unzulässigen Eingriffen,
    • ein Mitbeurteilungsrecht hinsichtlich der Grenzen der Zulässigkeit eines Eingriffs und
    • ein Mitgestaltungsrecht bei der Einführung der technischen Systeme.

    Demnach muss der Betriebsrat stets vor der Einführung neuer technischer Einrichtungen einbezogen werden. Die Begrenzung des Mitbestimmungsrechts auf ein bloßes Informationsrecht oder auf eine lediglich reaktive Mitbestimmung wird dem betriebsverfassungsrechtlichen Auftrag nicht gerecht. Auch der Betriebsrat kann auf die Mitbestimmung nicht verzichten (BAG Urteil vom 03.06.2003 – 1 AZR 349/02; 26.04.2005 – 1 AZR 76/04).

    Arbeitgeber mit Twitter Account

    Das Landesarbeitsgericht Hamburg (Beschluss vom 13.09.2018 – 2 TaBV 5/18) hat gerade über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Absatz 1 Nr. 6 BetrVG bei Nutzung des Kurznachrichtendienstes Twitter durch den Arbeitgeber entschieden.
    Der Arbeitgeber unterhielt einen Twitter-Account mit zugehöriger Internetseite. Angemeldete Nutzer konnten sodann Kurznachrichten – sog. Tweets – in Form von Antworten, Erwähnungen und Retweets posten. Nach Auffassung des Betriebsrates bestand hier ein Mitbestimmungsrecht bei der Nutzung des Kurznachrichtendienstes, weil die benannten Funktionen den Nutzern die Möglichkeit der Bewertung von Leistung und Verhalten der Beschäftigten eröffnen. Dabei erfolgen außerdem alle Antworten der Nutzer öffentlich, ohne dass die Sichtbarkeit der Kommentare durch den Arbeitgeber eingeschränkt werden könne.
    Das Gericht folgte der Auffassung des Betriebsrates und entschied auf Bestehen eines Unterlassungsanspruchs gegen den Arbeitgeber. Entscheidend sei dabei nicht, dass der Arbeitgeber diese Form der Leistungs- und Verhaltenskontrolle gar nicht beabsichtigte. Es genüge schon die Möglichkeit der Überwachung. Denn § 87 Absatz 1 Nr. 6 BetrVG ist darauf gerichtet Arbeitnehmer vor Beeinträchtigungen ihres Persönlichkeitsrechts durch den Einsatz technischer Überwachungseinrichtungen zu bewahren, die nicht durch schutzwerte Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt und unverhältnismäßig sind. Der Überwachungsdruck und die Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer sind in dieser direkten und öffentlichen Kommunikation so schwerwiegend, dass ein wirksamer Schutz nur über betriebliche Regelungen sichergestellt werden könne.

    Fazit

    Die Digitalisierung lässt sich wohl nicht mehr aufhalten, ist aber auch nicht das ungezähmte Schreckgespenst, dass sich außerhalb unserer Rechtsordnung umtreibt. Wichtig ist, die neuen technischen Systeme aus Mitbestimmungssicht zu bewerten und dann der Mitbestimmung auch Geltung zu verschaffen.

    Nicolas Ballerstaedt
    Abt. Mitbestimmung