Im letzten Vierteljahr gab es eine Vielzahl neuer höchstrichterlicher Entscheidungen zum Urlaubsrecht. Einen Überblick liefert unser Experte Markus Neuhaus in der »Arbeitsrecht im Betrieb« 5/2023.
Der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub ist nach den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) grundsätzlich auf das Kalenderjahr als Urlaubsjahr bezogen. Diese Tatsache hat sich auch durch die zurückliegenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) oder des Bundesarbeitsgerichts (BAG) nicht verändert. Die gesetzlichen Bestimmungen sagen nach wie vor, dass der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss.
Eine Übertragung des Urlaubs auf die ersten drei Monate des nächsten Kalenderjahres ist nach § 7 Abs. 3 Satz 2 und 3 BUrlG nur dann möglich, wenn dringende betriebliche oder in der Person der Beschäftigten liegende Gründe dies rechtfertigen. Liegen diese Gründe nicht vor, verfällt der Urlaub weiterhin zum Ende eines Kalenderjahres. Allerdings sind im BUrlG die Voraussetzungen für den Verfall nicht ausdrücklich festgelegt. Daher musste sich die höchstrichterliche Rechtsprechung mit den Voraussetzungen für Inanspruchnahme und Verfall des Urlaubs auseinandersetzen.
EuGH schützt Urlaub vor schnellem Verfall bei Krankheit
Nach dem deutschen Recht verfiel der Anspruch auf nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub automatisch, wenn der Arbeitnehmer keinen Antrag auf Wahrnehmung seines Jahresurlaubs gestellt hatte oder stellen konnte. Da der Jahresurlaub im Krankheitsfall juristisch nicht angetreten werden kann, verfiel dann der Urlaubsanspruch nach den Regelungen des BUrlG spätestens am Ende des Übertragungszeitraums nach drei Monaten mit Ablauf des 31.3. des Folgejahres.
Ob dieser frühe Verfall des Jahresurlaubsanspruchs im Krankheitsfall mit der europäischen Richtlinie vereinbar war, entschied der EuGH 2018. In dieser Entscheidung wurde erstmals klargestellt, dass der Arbeitgeber dafür sorgen muss, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt wird, den bezahlten Jahresurlaub auch tatsächlich zu nehmen. Die Verantwortung hierfür liegt ausdrücklich beim Arbeitgeber. Er muss den Arbeitnehmer in transparenter und verständiger Form darüber aufklären, dass der Urlaubsanspruch verfällt, wenn er den Urlaub nicht antritt.
Der gesetzliche Urlaubsanspruch der Beschäftigten verfällt daher nicht mehr automatisch, wenn sie keinen Urlaub beantragt haben oder beantragen konnten. Dies gilt nunmehr also ausdrücklich auch im Falle der Erkrankung des Arbeitnehmers über einen längeren Zeitraum. So soll verhindert werden, dass die Verantwortung für die Verwirklichung des bezahlten Jahresurlaubs vollständig auf den Arbeitnehmer verlagert wird, da der Arbeitgeber damit die Möglichkeit erhalten würde, sich unter Berufung auf den fehlenden Urlaubsantrag des Arbeitnehmers der eigenen Mitwirkungspflichten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruches vollständig zu entziehen.
Neu: Bei einer fehlenden Urlaubsbeantragung von Arbeitnehmenden wegen Krankheit verfällt nunmehr der Urlaubsanspruch nicht schon mit Ablauf des 31.3. des Folgejahres, sondern erst mit dem Ablauf des 31.3. des Folge-Folgejahres. Dies stellt einen wesentlich längeren Schutzzeitraum für die Möglichkeit der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs dar. Das BAG hat die Entscheidung des EuGH bestätigt. Ein krankheitsbedingter Urlaubsverfall kann somit erst nach 15 Monaten nach Beendigung des Urlaubsjahres eintreten.
Verjährung von Urlaubsansprüchen
Der EuGH hat seine Rechtsprechung zum Schutz des Urlaubsanspruchs auch bei der Frage fortgeführt, ob ein Urlaubsanspruch der allgemein geltenden arbeitsrechtlichen Verjährung von drei Jahren nach §§ 194, 195 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unterliegt. Dies wurde ausdrücklich verneint. Die grundsätzliche Verjährung des Urlaubsanspruchs ist rechtswidrig. Wäre eine solche Verjährung zulässig, würde dies bedeuten, dass Arbeitgeber sich wirksam auf die Verjährung berufen können, drei Jahre die Hände in den Schoss legen könnten, ohne Beschäftigte in die Lage zu versetzen, den Urlaubsanspruch tatsächlich zu verwirklichen. Hier würde Untätigkeit des Arbeitgebers belohnt, es würde einer unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers gleichkommen und dem eigentlichen Urlaubszweck, die Gesundheit der Arbeitnehmenden zu schützen, zuwiderlaufen.
Eine solche Rechtsfolge ist nach der Auffassung des EuGH nicht zu billigen. Er lässt im Ergebnis eine Verjährung nur dann zu, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungspflichten für den Urlaubsantritt des Arbeitnehmers vollständig nachgekommen ist. Hierzu gehört die Hinweispflicht auf den bestehenden Urlaubsanspruch, der Hinweis auf die mögliche Inanspruchnahme sowie der Hinweis auf die mögliche Rechtsfolge des Verfalls des Urlaubsanspruchs. Erfüllt der Arbeitgeber dies nicht, verjährt der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nicht automatisch nach drei Jahren.
Neu: Das BAG hat diese Hinweisverpflichtung des Arbeitgebers jetzt konkretisiert. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer konkret dazu aufzufordern, seinen Urlaub zu nehmen und hierauf klar, verständlich und rechtzeitig hinzuweisen. Zu dieser Hinweispflicht gehört auch eine Rechtsfolgebelehrung. Der Arbeitgeber muss verständlich erläutern, dass bei Nichturlaubsantritt der genommene Jahresurlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt. Erfüllt er diese Verpflichtung nicht, verfällt der Urlaub nicht. Der Arbeitnehmer behält seinen Urlaubsanspruch, unabhängig davon, ob ansonsten überhaupt mögliche Übertragungsgründe vorgelegen hätten. Eine Verjährung tritt nicht ein.
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