LAG Köln: Präventionsverfahren ist schon in der Wartezeit durchzuführen

Besonderer Kündigungsschutz

Schon in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, ein Präventionsverfahren (§ 167 Abs. 1 SGB IX) durchzuführen, wenn sich bei der Beschäftigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers Probleme abzeichnen. Unterbleibt dies, kann auch eine Probezeitkündigung rechtswidrig sein – so das LAG Köln.

Darum geht es

Der 1984 geborene Kläger verfügt über einen Grad der Behinderung von 80 und war bei der beklagten Kommune seit dem 1. Januar 2023 im Bauhof beschäftigt. Am 22. Juni 2023 kündigte die Beklagte dem Kläger innerhalb der Probezeit, ohne zuvor ein Präventionsverfahren durchgeführt zu haben.

Das Präventionsverfahren nach §167 Abs. 1 SGB IX stellt ein kooperatives Klärungsverfahren dar, das Arbeitgeber unter Beteiligung internen und externen Sachverstandes (insb. Schwerbehindertenvertretung, Integrationsamt, Rehabilitationsträger) durchführen müssen, wenn der Arbeitsplatz eines schwerbehinderten Arbeitnehmers gefährdet ist.

Unterlässt der Arbeitgeber die Durchführung des Präventionsverfahrens, kann dies zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Denn in einem solchen Fall wird vermutet, dass der Arbeitgeber den schwerbehinderten Arbeitnehmer wegen des nicht durchgeführten Präventionsverfahrens diskriminiert hat. Das Arbeitsgericht (ArbG) Köln hatte die Kündigung auf dieser Basis für rechtswidrig erklärt (ArbG Köln, 20.12.2023 – 18 Ca 3954/23).

Das sagt das Gericht

Innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit genießt ein schwerbehinderter Mensch, ebenso wie ein nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer noch keinen Kündigungsschutz in seinem Arbeitsverhältnis (§ 1 Abs. 1 KSchG, §§ 173 Abs. 1, 168 SGB IX).

Dennoch ist der Arbeitgeber verpflichtet, ist, bei auftretenden Schwierigkeiten bereits innerhalb der ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses ein Präventionsverfahren (§ 167 Abs. 1 SGB IX) durchzuführen.

Die 6. Kammer des LAG Köln entscheidet damit entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil v. 21.04.2016 – 8 AZR 402/14) zur bis 2017 geltenden Vorgängernorm (§ 84 SGB IX in der Fassung bis 31.12.2017). Das BAG ging davon aus, dass die Pflicht des Arbeitgebers, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen, erst nach der Wartezeit entsteht.

Nach Auffassung der 6. Kammer ergibt sich die vom Bundesarbeitsgericht (BAG) vorgenommene zeitliche Begrenzung weder aus dem Wortlaut der Vorschrift, noch stützt eine Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen dieses Ergebnis.

Wegen der auch vom BAG angenommenen strukturellen Probleme, ein Präventionsverfahren vor Ablauf der ersten sechs Monate („Probezeit“) zum Abschluss zu bringen, hat das Landesarbeitsgericht für diese Sonderkonstellation aber eine Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitgebers vorgenommen, um die Wartezeitkündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen nicht faktisch vollständig auszuschließen.

Im konkreten Einzelfall entschied das Landesarbeitsgericht Köln aufgrund der unstreitigen Tatsachen, dass die beklagte Kommune im widerlegen konnte, dass sie dem Kläger wegen der Schwerbehinderung gekündigt hatte. Daher führte dies nicht zur Unwirksamkeit der Probezeitkündigung des Klägers, und das LAG hat die Kündigungsschutzklage des Klägers abgewiesen.

Ausblick

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Wegen der offenen Grundsatzfrage nach der Pflicht zu einem Präventionsverfahren in der Probezeit hat das LAG Köln die Revision beim Bundesarbeitsgericht ausdrücklich zugelassen.

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Quelle

LAG Köln (12.09.2024)
Aktenzeichen 6 SLa 76/24

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