Bewerber*in kann Information der Interessenvertretung bestreiten

Um Diskriminierungsindizien darzulegen, genügt die bloße Vermutung, dass der Arbeitgeber den Personalrat, den Betriebsrat oder die Schwerbehindertenvertretung über die Bewerbung eines Schwerbehinderten nicht unterrichtet hat.

Der schwerbehinderte Bewerber, der ein Studium der Wirtschaftswissenschaften absolviert hat, bewarb sich auf eine im Internet ausgeschriebene Stelle als »Scrum Master Energy (m/w/d)«. Im Bewerbungsschreiben hat er auf seine bestehende Schwerbehinderung hingewiesen. Nachdem der potentielle Arbeitgeber dem Bewerber eine Absage erteilt hatte, machte dieser einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend. Der Arbeitgeber hat den Standpunkt vertreten, der schwerbehinderte Bewerber habe nicht über alle in der Stellenanzeige genannten Kriterien und Qualifikationen verfügt und deshalb wäre er nicht eingestellt worden. Ein Entschädigungsanspruch bestünde daher nicht.

Das sagt das Gericht

Das Bundesarbeitsgericht hat dem schwerbehinderten Bewerber einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 7.500,00 € zugesprochen. Denn nach § 22 AGG sind bei Diskriminierungen in Bezug auf den immer erforderlichen Kausalzusammenhang (zwischen der Behinderung und der Benachteiligung) eine Erleichterung der Darlegungslast und auch eine Umkehr der Beweislast vorgesehen.
Dies bedeutet Folgendes: Kann ein Bewerber konkrete Anhaltspunkte dafür beweisen, die seine Benachteiligung im Sinne des AGG vermuten lassen, dann trägt der Abeitgeber die Beweislast dafür, dass gerade kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat, sondern die Nichteinstellung andere sachlich begründete Ursachen hatte.
Das Problem in derartigen Situationen aus Sicht des Bewerbers ist immer der Umstand, dass er als »Außenstehender« zu betriebs- oder dienststelleninternen Umständen, etwa der Unterrichtung des Betriebsrats oder des Personalrats über die Bewerbung, wenig Konkretes vortragen können wird. Daher wurde insofern die Darlegungslast abgesenkt.

Hinweis für die Praxis

Sofern ein vom potentiellen Arbeitgeber nicht eingestellter, schwerbehinderter Bewerber einen Schadensersatz- oder Entschädigungsprozess führen möchte, hat der Bewerber die Darlegungslast dafür, dass seine Schwerbehinderung für die Benachteiligung ursächlich war. Er muss zumindest eine Verletzung des Arbeitgebers insoweit darlegen können, dass Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen verletzt wurden.
Wenn es allerdings darum geht, dass der nicht berücksichtigte schwerbehinderter Bewerber vermutet, dass der potentielle Arbeitgeber gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen hat (etwa, dass der Betriebs- oder Personalrat nicht nach § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX über die Bewerbung unterrichtet wurde), dann muss er insoweit keine konkreten Tatsachen vortragen, wenn sie ihm tatsächlich nicht bekannt sind.

Dr. Ewald Helml, Direktor des Arbeitsgerichts Rosenheim a.D.

Quelle

BAG (14.06.2023)
Aktenzeichen 8 AZR 136/22

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