Kündigungsschutz

Kündigungsschutz: Wenn die Schwerbehinderung augenfällig ist

Der besondere Kündigungsschutz eines schwerbehinderten Menschen setzt voraus, dass der Arbeitgeber um die Schwerbehinderung weiß. Müsste dem Arbeitgeber die gesundheitliche Beeinträchtigung »ins Auge springen«, kann er sich nicht darauf berufen, dass der Arbeitnehmer ihm die Schwerbehinderung nicht mitgeteilt hat – so das LAG Rheinland-Pfalz.

Im konkreten Fall kam im Streit um eine betriebsbedingte Kündigung die Frage auf, ob für den Arbeitnehmer der Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte Anwendung findet. Der Arbeitnehmer hatte den Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung beim Versorgungsamt verspätet gestellt. Es stellte sich die Frage, ob der Arbeitgeber Kenntnis von der »offenkundigen« Behinderung seines Mitarbeiters hätte haben müssen. Auch dann käme der besondere Kündigungsschutz in Betracht.

Voraussetzungen des Sonderkündigungsschutzes

Nach § 85 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) besteht für alle Arbeitnehmer, deren Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX feststeht, ein besonderer Kündigungsschutz. Nach § 2 Abs. 2 SGB IX liegt eine Schwerbehinderung vor, wenn das Versorgungsamt einen Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens 50 festgestellt oder den Arbeitnehmer einem Schwerbehinderten mit einem GdB von 30 bis 50 gleichgestellt hat. Eine wirksame Kündigung ist dann nur mit vorheriger Zustimmung des Integrationsamts möglich.

Stellungnahmen von Betriebsrat und SBV

Das Integrationsamt hat nach § 87 Abs. 2 SGB IX die Pflicht, vor der Entscheidung Stellungnahmen des Betriebsrats oder Personalrats und der Schwerbehindertenvertretung (SBV) einzuholen.

Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich

Maßgeblich ist, dass der Arbeitnehmer rechtzeitig beim zuständigen Versorgungsamt beantragt haben muss, seine Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung festzustellen (§ 90 Abs. 2 a SGB IX). Der Antrag muss mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt worden sein, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden hat (BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 613/06).

Darlegungs- und Beweislast liegt beim Arbeitnehmer

Das LAG stellt dahingehend klar, dass beim Arbeitnehmer die so genannte Darlegungs- und Beweislast liegt, dass der Antrag fristgerecht gestellt wurde. Er muss demnach im streitigen Fall umfassend und detailliert darlegen, dass der Antrag bereits zu einem früheren Zeitpunkt gestellt wurde.

Wann ist eine Schwerbehinderung offenkundig?

Davon gilt eine wichtige Ausnahme: Der Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft, ist entbehrlich, wenn die Schwerbehinderung für den Arbeitgeber »offenkundig« sein muss. Dafür ist zum einen erforderlich, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung des Arbeitnehmers so dominiert, dass sie dem Arbeitgeber, auch ohne medizinische Vorkenntnisse ohne weiteres auffällt.

Zum anderen muss für den Arbeitgeber darüber hinaus so offensichtlich sein, dass das Versorgungsamt beim Arbeitnehmer einen GdB von wenigstens 50 feststellen würde, wenn es über die Schwerbehinderung entscheidet. Diese Vorgabe hat das BAG entwickelt, siehe BAG v. 13.11.2011 – 8 AZR 608/10 (Rn. 42) und BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 514/04 (Rn. 33 ff).

Die Offensichtlichkeit für den Arbeitgeber muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, wenn er sich darauf berufen will.

Nachweis gelingt nicht immer

Im hier entschiedenen Fall hat diese Ausnahme dem gekündigten Arbeitnehmer leider nicht geholfen. Denn nach Ansicht des LAG Rheinland-Pfalz hat der Arbeitnehmer nicht darlegen können, dass dem Arbeitgeber seine gesundheitliche Beeinträchtigung offenkundig hätte auffallen müssen. Daher hat das Gericht die Kündigungsschutzklage in der Berufung zurückgewiesen.

Quelle:
© bund-verlag.de (jl)
LAG Rheinland-Pfalz, 12.02.2017
Aktenzeichen: 5 Sa 361/16
Rechtsprechungsdatenbank Rheinland-Pfalz

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